Das Stundenbuch der Gemahlin Karls IV. aus dem 14. Jahrhundert zieren als das erste große französische Buchkunstwerk zarte Miniaturen in Demigrisaille-Technik. Die Feinheit der Miniaturen ist umso beeindruckender, als der Codex selbst mit nur 9,0 x 6,0 cm eines der kleinsten Stundenbücher ist.
Das Kleinod Der Königin
Ein Meilenstein der Kunstgeschichte
Dieses entzückende Stundenbuch, hergestellt für Jeanne d’Evreux, die Gemahlin des französischen Königs Karl IV., ist eines der epochemachenden Werke der französischen Kunst des 14. Jahrhunderts. Es entstand zwischen 1325 und 1328 in Paris.
Das Werk ist eines der erlesensten Exemplare früher Stundenbücher. Es ist mit 25 Miniaturen ausgestattet, die in ihrer Zartheit mit zeitgenössischen Elfenbeinschnitzereien vergleichbar sind und geistige Aufgeschlossenheit zeigen, die zukunftsweisend ist. Die Miniaturen sind alle in Demigrisaille gehalten, eine Maltechnik von Grauschattierungen mit Farbhöhungen für Gesicht und Hände der Figuren.
Diese herrlichen, zarten Bilder stammen von Jean Pucelle. Dessen Werke sind die raffiniertesten und am weitesten fortgeschrittenen seiner Zeit, durch Einflüsse italienischer Malerei geprägt. Kurz vor der Schaffung dieses Meisterwerks hatte Pucelle vielleicht eine Italienreise unternommen. Die frischen Eindrücke großer Kunst verband er mit seiner eigenen vollkommenen Technik der französischen Tradition; daraus entstand dieses bezaubernde Werk.
Eine Handschrift der Superlative
Gleich mehrere Superlative lassen die besondere Bedeutung dieser Handschrift erkennen: Als eines der kleinsten Stundenbücher mit einem Format von nur 9,0 x 6,0 cm erforderte die Ausstattung desStundenbuchs der Jeanne d’Evreux einen wahrhaft künstlerischen Kraftakt der Miniaturisierung. Besonders bedeutsam ist die Tatsache, dass der Meister selbst den Buchschmuck bis hin zum kleinsten Detail ausführte. Illustrationen, Initialen, ja selbst die feinsten Linien und andere »Kleinigkeiten« ausgeführt mit einer ungeheuren Vielfalt und Phantasie alles stammt von »meisterlicher« Hand.
Doch nicht genug der Superlative: Das Stundenbuch der Jeanne d’Evreux ist das erste große Werk der französischen Buchkunst, das in Demigrisaille-Technik ausgeführt ist. All das tritt aber noch zurück hinter die sensationellen neuen Ideen, die Pucelle in die Illustrationen hat einfließen lassen. Die Bilder sind der erste Versuch, der nördlich der Alpen unternommen wurde, einen dreidimensionalen Raum im Bild zu schaffen, die Dreidimensionalität bildlich zu manifestieren.
Jean Pucelle – Neuerer der Buchmalerei
Erstaunlich bleibt, dass Pucelle trotz der Rezeption der neuesten künstlerischen Entwicklungen aus dem innovativen Italien seinen eigenen künstlerischen Wurzeln, der Klarheit des Ausdrucks und der Eleganz der Formen, treu geblieben ist. Er hat es verstanden, diese bei den Richtungen zu etwas vollkommen Neuem zu verbinden und somit der französischen Kunst des 14. Jahrhunderts neue Impulse zu vermitteln.
Wie wichtig dieser Buchmaler auch weit über seine Zeit hinaus geblieben ist, zeigt die Tatsache, dass er sogar im Testament der Königin Jeanne noch im Jahr 1371 genannt ist, über 40 Jahre nach seinem Tod, zu einer Zeit, da es unzählige Buchmaler von großem Format gab. Das spricht eindeutig für die Qualität seiner Kunst.
Die Drôlerien – unzählige phantastische Wesen
Einen weiteren Höhepunkt dieser Handschrift bilden die unzähligen Drôlerien, die sich auf fast allen Seiten der Handschrift tummeln. Da finden sich phantastische Kreaturen wie Löwenreptilien und Schlangenziegen oder Drachen mit Mönchsköpfen, aber auch verschiedenste menschliche Vertreter aller sozialen Schichten wie etwa Bauern, Schäfer, Ritter oder Akrobaten. Der freie Raum um den Text wird von ganzen Gruppen bevölkert, die burleske Bühnen- oder Possenspiele aufführen.
Verschiedenste Formen eines phantastischen Lebens nehmen Besitz vom Stundenbuch. Wo immer der Text einen Teil einer Zeile freilässt, wird der Raum sofort von verschiedensten Mischwesen eingenommen, die dort das Schwarz der Linie bis zum Rand fortführen. Dieses Meisterwerk des 14. Jahrhunderts gehört zu den mittelalterlichen Kunstwerken, in denen Heiliges und Profanes, Ernstes und Lustiges sich in unmittelbarer Nachbarschaft befinden.
Die Faksimile-Edition
Das herrliche Stundenbuch erscheint in einer weltweit limitierten Auflage von nur 980 numerierten Exemplaren. Als innovative Höchstleistung muss die Reproduktion der winzigen Drôlerien besondere Erwähnung finden. Es ist dem Faksimile Verlag gelungen, eine neue Drucktechnik einzusetzen, die es weltweit zum ersten Mal gestattet, solch kleine, äußerst feine Illuminationen wirklich originalgetreu wiederzugeben. Somit sind diese wunderbaren, aber auch witzigen und lehrreichen Grotesken und die in den Text eingebauten Figuren in höchster Qualität zu erkennen, zu erforschen und zu bewundern.
Die 418 Seiten (209 Folios) im Format von 9,0 x 6,0 cm werden originalgetreu einzeln beschnitten. Das Stundenbuch enthält nicht nur Buchschmuck von höchster Qualität. Seine in herrlich regelmäßigen Buchstaben geschriebenen Texte enthalten einen Kalender, ein Marienoffizium, Gebete an den hl. Ludwig, Bußpsalmen sowie eine Litanei. Das Stundenbuch ist ein ungewöhnlich reiches Kunstwerk, der Gemahlin eines französischen Königs angemessen.
Der Kommentarband
Der Kommentarband im Format von 22,0 x 15,0 cm dient als der Schlüssel zum Werk. Er erhellt das Verständnis der Handschrift mit Hilfe der neuesten Forschungen. Barbara Boehm, Associated Curator des Department of Medieval Art, Metropolitan Museum of Art, New York, fungiert als Herausgeberin des Kommentarbandes.