Das Fragment eines Stundenbuches aus dem 16. Jahrhundert ist einer der schönsten Landschaftszyklen und ein Meilenstein flämischer Buchmalerei. Simon Bening revolutionierte in diesem Werk die Kalenderminiaturen, indem er ihnen je zwei Seiten einräumte und sie als eigenständige Szenen behandelte.
Ein Grosses Kunstwerk Im Kleinen Format
Ein Meisterwerk Simon Benings
Simon Benings Flämischer Kalender, der aus dem Kalenderteil eines Stundenbuches besteht und somit ein Fragment ist, stellt einen der schönsten Landschaftszyklen innerhalb eines Kalenders überhaupt dar.
Er ist nicht nur ein Meilenstein flämischer Buchmalerei des 16. Jahrhunderts, sondern auch ein Höhepunkt in Benings künstlerischer Entwicklung als Landschaftsilluminator.
Der Kalender unverzichtbarer Beginn eines Stundenbuches
Kalendarien sind Abschnitte am Beginn eines Andachtsbuchs, in denen die Feste des Kirchenjahres aufgeführt werden. Vielerlei Tätigkeiten sowie Tierkreiszeichen, die mit dem jeweiligen Monat in Verbindung stehen, charakterisieren traditionsgemäß die einzelnen Monate.
Da die Monatsarbeiten meist landwirtschaftliche Tätigkeiten wie die Bestellung von Acker und Feld in freier Natur stattfinden, spielten Landschaften und Ausschnitte davon eine besondere Rolle in der Kalenderdekoration während des gesamten Mittelalters.
Im Spätmittelalter erleichterte zudem eine neue Auffassung von der Natur die Entwicklung der Landschaftsdarstellung in illuminierten Kalendern. Ein Kalender enthielt im allgemeinen elf Landschaftsminiaturen. Eine oder auch zwei waren zumeist der Darstellung eines Innenraumes vorbehalten.
Wegbereiter der flämischen Kunst
Simon Bening revolutionierte die bildliche Darstellungsweise in Kalenderminiaturen. Er stellte die Kalenderdekoration auf die gleiche Stufe wie die detaillierten Programme der Andachtsbilder, die im Buch auf sie folgen.
In illuminierten Stunden- und Gebetbüchern war oft ein kleiner Streifen unterhalb des Textes für Illustrationen benutzt worden. Bening dagegen war seit einem Jahrhundert der erste Künstler, der ganzseitige Kalenderminiaturen malte, und er war der erste, der sie als eigenständige Szenen behandelte, die ein möglichst genaues Abbild der Umwelt ergeben sollten.
Kein anderer Künstler vor Pieter Breugel d.Ä. erkundete die Landschaft so systematisch wie Bening. Er malte verschiedene Landschaftstypen mit einer erstaunlichen topographischen Vielfalt; ebenso schilderte er die unterschiedlichsten Wetterlagen. Seine Landschaften sind poetisch: mit Empfindsamkeit beobachtet, präzis komponiert und voller Atmosphäre. Damit hat er einen wichtigen Beitrag zum erhöhten Ansehen der Landschaft in der flämischen Kunst geleistet.
Der Flämische Kalender – ein großes Meisterwerk
Diese poetische Kalenderfolge Benings offenbart Bild für Bild eine geschäftige und harmonisch geschlossene Gesellschaft. Einige Miniaturen zeigen die Tätigkeit oder die Vergnügungen des Monats neben gesellschaftlichen Ereignissen.
In unserem Kalenderzyklus ist im Vergleich zu anderen Handschriften die Bedeutung der traditionellen Monatsarbeiten allerdings zurückgenommen. Nun wird den Vergnügungen der Oberschicht mehr Raum zugestanden. Diese Miniaturen weisen eine strukturelle Geschlossenheit, eine Subtilität der Farben und atmosphärischen Effekte auf, die in der flämischen Kunst jener Zeit selten waren.
Auf dem Januar-Bild etwa werden ein Holzhacker in der freien Natur sowie Personen gezeigt, die sich in einem nahe gelegenen Innenraum an einem Feuer wärmen; beides Tätigkeiten, die den Winter symbolisieren. Im rückwärtigen Teil des Hauses und hinter dem Haus gehen andere Bauern ihrer Arbeit in dem verschneiten Dorf nach. Den Bildern der flämischen Landschaft werden auch andere Motive an die Seite gestellt, so etwa die Liebeswerbung. Solche »romantischen« Motive waren immer schon Bestandteil der flämischen Kalenderikonographie.
Die älteren Kalender integrierten meistens eine oder zwei solcher Szenen in die Serie. Hier sind es sogar drei; gezeigt werden Liebespaare in einem Garten, ein Paar bei einer Bootsfahrt oder ein Ball in einem eleganten flämischen Haus. Für die Kalenderbilder insgesamt fand Simon Bening in Gestalt der zweiseitigen Miniaturen eine neue Form, um vor allem den Mittel- und Hintergrund zu erweitern. Es ist eine Entwicklung, die in letzter Konsequenz zu den Landschaften eines Pieter Breugel führen sollte.
Die Faksimile-Edition
Alle 60 Seiten des Flämischen Kalenders im Format von 14,0 x 10,4 cm wurden getreu dem Original faksimiliert. Die Faksimile-Edition erschien in einer weltweit einmaligen, streng auf 980 Exemplare limitierten Auflage.
Auch der Einband wurde ganz in Anlehnung an das Original gefertigt: Er ist in violettem Samt eingebunden und insgesamt mit zwölf Rosetten, Ecken und Schließen aus echtem, massivem Sterling-Silber versehen. Das Kapitalband wurde von Hand umstochen.
Der Kommentarband
Zur Faksimile-Edition gehört ein über 480 Seiten fassender Kommentarband, der in drei Sprachen (deutsch/englisch/französisch) die Handschrift und ihr künstlerisches Umfeld wissenschaftlich erklärt. Thomas Kren, Curator of Manuscripts am J. Paul Getty Museum in Malibu bespricht die Entwicklung der Landschaft in der flämischen Buchmalerei und analysiert die Miniaturen der Handschrift, und Prof. Dr. Johannes Rathofer, Universität Köln, erläutert die Texte der Handschrift.