Ungewöhnlich reich mit oftmals ziseliertem Gold verziert ist dieser reine Bilderzyklus von Bibelszenen. Der Oxforder Meister William de Brailes schuf das Werk im 13. Jahrhundert ganz im gotischen Stil. Der Einband mit beidseitig geschnitzter Elfenbeintafel im Vorderdeckel ist einzigartig in der Kunstgeschichte.
Die Entdeckung von William de Brailes als ein Meister der frühen Gotik
So reich die Kunst der Buchmalerei im Mittelalter auch erscheint – die Namen ihrer Künstler bleiben meist im Dunkel der Geschichte. Eine absolute Ausnahme stellt Leben und Werk eines Buchmalers dar, der im 13. Jahrhundert in Oxford wirkte: William de Brailes.
Fesselndes Beispiel seiner Kunst sind die Oxforder Bibelbilder, ein reiner Bilderzyklus mit Szenen aus der Bibel, deren Bildsprache zum Teil gänzlich neu erdacht ist. Jedes der 31 Blätter im Format von ca. 13,5 x 10,0 cm ist ungewöhnlich reich mit oftmals sogar ziseliertem Gold ausgestattet.
Doch ist es nicht nur das Wissen um seinen Namen, das de Brailes als Persönlichkeit unter den Meistern der frühen Gotik hervortreten lässt. Einzigartig ist auch sein ganz eigener, lebendiger Stil, der zuweilen gar eine leicht satirische Färbung erhält.
Die perfekte Umsetzung des gotischen Stilgefühls in Farbe und Gold
Einfallsreichtum und Originalität waren die Grundlage von William de Brailes’ lebendigen Darstellungen, deren erzählerische Kraft noch heute beeindruckt.
Mit den Oxforder Bibelbildern legte er seinem Auftraggeber einen prachtvollen Bilderzyklus vor, der mit Sicherheit in jeder Weise dem Zeitgeschmack der Gotik entsprach: Die Gewandfalten wusste er unter Einsatz schwarzer und weißer Konturlinien plastisch zu gestalten; geschickt verstand es der Künstler, durch Aufbau der Szenen und schlanke Personendarstellungen die Vertikale zu betonen; jede Miniatur besticht zudem durch die üppige Verwendung von poliertem Gold.
Die Veredelung der Buchmalerei durch das polierte, fein ziselierte Gold
Dem Auftraggeber der Oxforder Bibelbilder muss kein Preis zu hoch gewesen sein, um seinen Bilderzyklus angemessen auszustatten. Der Meister William de Brailes war dadurch in der glücklichen Lage, jede einzelne Miniatur mit einem Hintergrund aus poliertem Blattgold zu hinterlegen. Diese heute noch exzellent erhaltene, strahlende Pracht macht viel von dem Reiz dieses bibliophilen Juwels aus. Darüber hinaus unterstreicht der Goldgrund die hohe inhaltliche Bedeutung jeder einzelnen biblischen Szene.
Eine eigene Lebendigkeit erhielten die üppigen Goldflächen in einem letzten Arbeitsschritt, der Ziselierung. Mit speziellen Werkzeugen wurden feine Muster aus Rauten und Punkten oder schuppenartig übereinandergelegten Halbkreisen auf das Gold geprägt. In den Oxforder Bibelbildern ergänzen die sorgfältig ausgeführten Ziselierungen in idealer Weise den bildnerischen Schwung, den de Brailes den einzelnen Schauplätzen verleiht.
Wer konnte sich solch einen reich ausgestatteten Bilderzyklus leisten?
Bis heute konnte das Geheimnis nicht gelüftet werden, für wen de Brailes die kostbaren Bilder ausführte. Das steigende Bedürfnis nach privaten Andachtsbüchern im 13. Jahrhundert untermauert allerdings die Annahme, den Stifter im weltlichen Adel zu suchen.
Ein Teil der Bibelbilder taucht erst auf, als ein Antiquar in Paris gegen Ende des 19. Jahrhunderts 31 Folios erwarb. Er verkaufte sieben von ihnen an die Collection Wildenstein, die die Blätter schließlich dem Musée Marmottan in Paris zueignete. Die übrigen 24 Blätter verblieben im Besitz des Händlers. Seine Liebe zu diesem Kleinod fand gebührenden Ausdruck, indem er es in einen ganz besonderen Einband aus edlem, rotem Samt fassen ließ, der ein Unikum der Kunstgeschichte ist. In eine Aussparung des Vorderdeckels ließ er eine zweiseitig geschnitzte, gotische Elfenbeinplatte ein.
Henry Walters, Stifter des Walters Art Museum, erwarb die Kostbarkeit für die Bücherei seines Museums. Doch sollte es noch Jahrzehnte dauern, bis die so originellen Miniaturen dem Meister William de Brailes aus Oxford zugeschrieben werden konnten.
Ein Unikum in der Geschichte des Buches: Der Einband mit der filigranen Elfenbeintafel
Der Einband der Oxforder Bibelbilder aus rotem Samt ist eine Besonderheit in der Geschichte des Buches: in den Vorderdeckel wurde eine beidseitig geschnitzte Elfenbeinplatte eingelassen. Der Künstler dieser Preziose schuf ein Meisterwerk der gotischen Skulpturkunst. Die hauchdünne Platte im Format von 8,0 x 5,0 cm wurde auf beiden Seiten mit Szenen aus dem Leben Jesu versehen. Auf der Vorderseite setzte der Künstler die Geburt, die Tafelrückseite zeigt die Kreuzigung.
Die ausgeprägte Plastizität der Tafel lässt kaum darauf schließen, wie dünn das kleine Kunstwerk ist. An einigen Stellen ist das Artefakt gar so fein, dass es das Licht durchscheinen lässt!
Welches Geheimnis birgt die Platte aus Elfenbein?
In der Kunstgeschichte ist kein anderes Buch mit einem solchen Einband bekannt. Die ursprüngliche Funktion der fragilen Tafel ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Allein Herkunftsort und -zeit dieses Kleinods ist gesichert. Die Tafel wurde im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts in Deutschland im Rheinland angefertigt. Somit gehen in den Oxforder Bibelbildern englische und deutsche Gotik eine kunstreiche Verbindung ein.
Die originalgetreue Faksimile-Edition
Die Oxforder Bibelbilder erscheinen in einer limitierten Auflage von 980 Exemplaren als Faksimile-Edition. Getreu dem Original werden die 31 bebilderten, reich mit zum Teil ziseliertem Gold ausgestatteten Blätter im Format von 13,5 x 10,0 cm wiedergegeben. Das Faksimile wird von einem Einband geschützt, der eine Nachbildung des heutigen Einbands einschließlich der beidseitig geschnitzten Elfenbeintafel und der zwei Schließen ist.
Die Faksimile-Edition wird in einer handgefertigten Schmuckkassette aus Leder geliefert, in die ein Fenster aus Acrylglas eingelassen ist, um die Elfenbeinreplikate der Oxforder Bibelbilder angemessen zu präsentieren.
Der wissenschaftliche Kommentar
Der Kommentar aus der Feder von William Noel, Keeper of Manuscripts am Walters Art Museum in Baltimore, erschließt die Oxforder Bibelbilder. Der Band würdigt William de Brailes als Künstler und bietet einen faszinierenden Einblick in die Zeit der frühen Gotik.