100 Jahre vor Luthers Bibelübersetzung, um 1425, entstand die achtbändige frühneuhochdeutsche Handschrift. Prachtvoll in Gold und kostbaren Farben von zwei Regensburger Meistern illuminiert, war die Bibel ein Prunkstück der Heidelberger Bibliotheca Palatina von Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz.
Ein Prachtwerk der Regensburger Buchmalerei aus der Bibliotheca Palatina
Um 1425 ließ ein namentlich nicht bekannter höfischer Auftraggeber in Regensburg eine der wunderbarsten deutschen Bibelhandschriften anfertigen. Seit dem 10. Jahrhundert wirkten die Regensburger Buchmalerateliers schulbildend im gesamten Donauraum: Die dortigen Klöster waren auf illustrierte Prachthandschriften spezialisiert, die heute noch durch ihre qualitätvolle Ausarbeitung und schöpferische Eigenständigkeit beeindrucken. Der bibliophile Kurfürst Ottheinrich von der Pfalz (1502–1559) erwarb die Handschrift um 1530 als Prunkstück für seine weltberühmte Heidelberger Bibliotheca Palatina. Ihm verdanken wir die Rettung dieses hervorragenden Kunstwerks und deutschen Sprachdenkmals. Im Auftrag Ottheinrichs setzte der Renaissancemaler Matthias Gerung die Ausstattung der Handschrift fort, so dass nunmehr eine unvergleichlich prächtige Ausgabe des Neuen Testaments vorliegt, die – in frühneuhochdeutscher Sprache geschrieben – für den heutigen Betrachter sehr gut lesbar ist.
Die ältesten illustrierten Evangelien in deutscher Sprache
Überliefert sind acht Bände mit den Texten des Neuen Testaments in deutscher Übersetzung, von denen sich drei heute in der Bayerischen Staatsbibliothek befinden. Die ersten beiden Bände der Ottheinrich-Bibel, aus konservatorischen Gründen heute in einem Band zusammengefasst, enthalten unter der Signatur Cgm 8010/1.2 die Evangelien nach Matthäus und Markus sowie Teile des Lukas-Evangeliums. Ihr Stellenwert unter den Meisterwerken deutscher Kunst ist nicht hoch genug einzuschätzen. Auch aus sprachgeschichtlicher Sicht ist die Ottheinrich-Bibel von höchstem Interesse – bis zu Luthers Übersetzung des Neuen Testaments sollten schließlich noch 100 Jahre vergehen.
Wettstreit der Besten
Die Ottheinrich-Bibel ist ein höfisches Prachtwerk, aufwendigst illustriert, mit viel Gold und kostbaren Farben. Schon der ursprüngliche Auftraggeber wollte offensichtlich nicht einfach eine Prunkhandschrift bestellen, sondern ein Werk besitzen, in dem das Können der hervorragendsten Künstler seiner Zeit kulminierte. Die beiden Hauptmeister stammen aus dem Umkreis des bedeutendsten Regensburger Künstlers der Zeit, des Meisters der Worcester-Kreuztragung. Sie werden nach den jeweils von ihnen gestalteten Evangelien in der Ottheinrich-Bibel Matthäus- und Markusmeister benannt.
Höfischer Luxus auf feinstem Pergament
Auf 78 Blättern im repräsentativen Format von 53,2 x 37,2 cm stehen 46 Miniaturen auf Blattgoldgrund, der zusätzlich mit feinster Goldziselierung verziert ist. Die Miniaturen, die meist die halbe oder sogar ganze Seite ausfüllen, erinnern in ihrer Anlage und Ausgestaltung an Tafelbilder. Mehr als 40 Pinselgold-Initialen mit farbigen Ranken schmücken den zweispaltig geschriebenen Text. An teuren Deckfarben und Gold wurde nicht gespart, um die Textur kostbarer Stoffe, von Perlenstickereien und Edelsteinen auf den Seiten nachzuahmen.
Profane Themen aus dem höfischen Leben verstecken sich in verspielten Details: Eine Hirschjagd, ein Liebespaar, ein Hofnarr und allerlei bunte Vögel schmücken die Zierranken.
Unverwechselbare Handschrift der Meister
Die meisten Miniaturen entfallen auf den stilistisch von Giotto beeinflussten Matthäusmeister. Seine Farbpalette ist auf Lila- und Grautöne abgestimmt, was das Modellierte der Figuren unterstreicht. Auch der Markusmeister verarbeitet italienische Vorbilder. Er ist ein Erzähltalent, der versucht, die darzustellende Szene durch Erweiterungen und Erfindungen dramatisch zu beleben. Beide Maler stammen aus derselben Werkstatt und haben Zugang zu denselben italienischen Vorbildern – keine Seltenheit in Regensburg, wo Meister aus Padua und Verona arbeiteten. Beide Maler entfalten allerdings innerhalb ihres Stilkreises ihre ganz individuelle Malweise bis zur Vollendung.
Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges
Im Zuge der Eroberung Heidelbergs während des Dreißigjährigen Krieges verbrachte Herzog Maximilian von Bayern die Ottheinrich-Bibel in die Münchner Hofbibliothek, von wo sie allerdings schwedische Truppen 1636 nach Gotha verschleppten.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts geteilt und umgebunden, gelangten fünf Bände auf Tauschwegen wieder nach Heidelberg, während die Bayerische Staatsbibliothek die Bände mit den besonders prachtvollen Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas erst 1950 aus Privatbesitz wiedererwerben konnte.
Die Faksimile-Edition: Ein Meisterwerk der Buchkunst
Die Ottheinrich-Bibel wurde in einer limitierten Auflage von 980 Exemplaren im Originalformat von 53,2 x 37,2 cm faksimiliert. In einem aufwendigen Verfahren wurden die Blattgold-, Pinselgold- und diversen Farbaufträge des Originals in gesonderten Druckvorgängen originalgetreu wiedergegeben. Von insgesamt 78 Blättern sind 46 durch farbenprächtige Miniaturen geschmückt. 41 Pinselgoldinitialen gliedern den zweispaltigen, in einer monumentalen Textualis geschriebenen deutschen Text.
Um dem Prunkstück aus Ottheinrichs Sammlung wieder die kurfürstliche Aura zu verleihen, wurde dieOttheinrich-Bibel in einen Einband gebunden, der dem wohl aufwendigsten Prachteinband, der je für Ottheinrich geschaffen wurde, nachempfunden ist. Wie jener Einband von 1558 (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 833) präsentiert sich der Einband der Faksimile-Edition mit reicher Gold- und Blindprägung, acht Zierbeschlägen und vier Schließen. Auf der Vorderseite ist ein Porträt von Ottheinrich in Goldprägung abgebildet; die Rückseite ziert Ottheinrichs kurfürstliches Wappen. Alle Prägestempel sind in aufwendiger Handarbeit präzise nachgearbeitet.
Der wissenschaftliche Kommentar
Ein eigener Kommentarband erschließt Ihnen diese außergewöhnliche Handschrift in all ihrer Pracht: Prof. Dr. Robert Suckale und Prof. Dr. Jeffrey Hamburger unterziehen die Handschrift einer kodikologischen Untersuchung. Die historische Einordnung der Handschrift und die sprachliche Situierung des frühneuhochdeutschen Textes werden von Dr. Brigitte Gullath und Dr. Karin Schneider vorgenommen.