Das „»Hausbuch der Deutschen«, der Epos um Siegfried und die Burgunden, liegt nur noch in einer illuminierten Handschrift vor – dem Hundeshagenschen Codex aus dem 15. Jahrhundert. In 37 prachtvollen Federzeichnungen werden die wohlbekannten Szenen lebendig.
Ein Text im Wandel der Zeiten
Das Nibelungenlied gilt als das Nationalepos der Deutschen. Das ist richtig und falsch. Richtig, weil seit dem 19. Jahrhundert jedes Kind in Deutschland zumindest ungefähr weiß, worum es in diesem mittelalterlichen Epos geht: Um die Geschichte von Siegfried, dem Drachentöter, der zunächst dem burgundischen König Gunther hilft, eine Braut heimzuführen, wofür er selbst mit der Hand der schönen Kriemhild belohnt wird. Doch in seinem Triumph liegt bereits der Keim gewaltigen Unglücks: Siegfried wird ermordet, und das Volk der Burgunden wird an König Etzels Hof aufgerieben. In diesem Teil desNibelungenliedes verlässt die Handlung übrigens »deutsches« Territorium: Die Burgunden ziehen von Passau immer weiter donauabwärts bis nach Ofen (Budapest). Andererseits ist das Nibelungenlied erst im 18. und 19. Jahrhundert zum nationalen Mythos geworden: Die Zusammenfassung verschiedener nordischer Sagen und realer geschichtlicher Ereignisse aus der Zeit von Völkerwanderung und Merowingerreich war im Mittelalter viel weniger ein »Erfolgstitel« als zum Beispiel Dantes Divina Commedia, Chaucers Canterbury Tales oder der französische Roman de la Rose. Erst die beginnende Germanistik im Zeitalter des erwachenden Nationalbewusstseins entdeckte die archaisch-mythische Qualität dieses Textes und verwurzelte ihn im kollektiven Bewusstsein der Deutschen.
Die Handschrift
Um das Jahr 1200 wurden die beiden alten Sagenkerne um Siegfried und die Burgunden zu einem gewaltigen Epos geformt und in mittelhochdeutschen Versen aufgeschrieben. Der Autor ist ebenso unbekannt wie die Urfassung. Nur wenige, ausschließlich unbebilderte Handschriften sind aus dieser frühen Zeit erhalten. Die einzig erhaltene illuminierte Handschrift der Sage stammt aus dem 15. Jahrhundert. Es handelt sich um den Hundeshagenschen Codex im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin. Benannt ist er nach dem Wiesbadener Bibliothekar Helfrich Bernhard Hundeshagen, der die Handschrift 1816 angeblich bei einem Mainzer Antiquar entdeckte. Da er die genauen Umstände seiner Entdeckung nie offenlegte, ist auch heute noch kaum etwas über die Provenienz der Handschrift bekannt.
Die Illustrationen
Herausragendes Merkmal der Hundeshagenschen Handschrift sind die 37 prachtvollen und hervorragend erhaltenen Bilder. Damit ist diese Handschrift die einzige mit einem umfassenden Illustrationszyklus. Dies ist der Grund, weshalb wir den Hundeshagenschen Codex für die längst überfällige Faksimilierung dieses »Hausbuches der Deutschen« ausgewählt haben. Die Bilder entsprechen dem spätmittelalterlichen Stilempfinden: Lavierte Federzeichnungen, mit sicherem Strich und teilweise großer Detailfreude ausgeführt. Es fehlt das Gold der mittelalterlichen Prachthandschriften – die Buchkultur war mit dem Paradigmenwechsel zu weltlichen Handschriften und dem wachsenden Bedürfnis nach der Ware Buch schlichter, aber nicht weniger farbenfroh geworden: Die Bilder lassen den Betrachter auf faszinierende Weise an höfisch-ritterlichen Ereignissen wie Festmahlen, Turnieren, Jagden und Reisegesellschaften zu Ross oder Schiff teilhaben und gewähren sogar Blicke in königliche Schlafzimmer.
Die »Mischfassung«
Die Überlieferung des Nibelungenliedes kennt zwei Stränge, die nach dem jeweils unterschiedlichen letzten Wort der jeweiligen Handschrift »Not-Fassung« und »Lied-Fassung« genannt werden (»daz ist der Nibelunge not« – »daz ist der Nibelunge liet«). Eine weitere Besonderheit dieser Handschrift ist der Umstand, dass hier beide Versionen gebündelt werden – das ist außer in der Hundeshagenschen Handschrift nur noch in einer weiteren vollständigen Handschrift der Fall.
Die Faksimile-Edition
Die Faksimile-Edition hat einen Umfang von 384 Seiten und ein Format von 205 x 282 mm. 37 halb- bis dreiviertelseitige Illustrationen schmücken das Werk. Der Einband ist ein Holzdeckelband, bezogen mit feinstem braunen Rindsleder. Eine Blindprägung auf Vorder- und Rückseite sowie auf dem Buchrücken, dazu je 5 Messingbuckel, 2 Langriemenschließen und ein dreiseitiger Goldschnitt runden die Edition ab.
Der wissenschaftliche Kommentarband
Der wissenschaftliche Kommentarband dient als Schlüssel zum Verständnis der Hundeshagenschen Handschrift. Prof. Dr. Joachim Heinzle (Marburg) stellt das Nibelungenlied im Kontext der Nibelungensage dar und erläutert die Bilder der Handschrift. Dr. Jürgen Vorderstemann (Speyer), der 1975 eine bis dato unbekannte Nibelungen-Handschrift gefunden hatte, geht der spannenden Überlieferungsgeschichte dieser Handschrift nach. Dr. Beate Braun-Niehr (Berlin) widmet sich dem äußeren Erscheinungsbild der Handschrift und untersucht die kolorierten Federzeichnungen. Dr. Klaus Klein (Marburg) gibt unter anderem eine sehr nützliche Übersicht über die Handlung des Nibelungenliedes.
Der Kommentarband hat einen Umfang von 184 Seiten. Er ist in moosgrünes Einbandpapier gebunden und mit einer Darstellung aus dem Inhalt sowie einer Goldprägung vorn und am Rücken verziert.