Bereits im 13. Jahrhundert verfasste Guido de Columnis seine Troja-Erzählung, deren Popularität an der Vielzahl ihrer Übersetzungen abzulesen ist. Die vorliegende Handschrift mit ihren bezaubernden Miniaturen entstand im Regensburg des 15. Jahrhunderts und kann gleichsam als Handbuch der höfischen Lebenswelt des Mittelalters gesehen werden.
Ein Bilderbuch Vom Untergang Trojas
Die Faszination Trojas
Es gibt kaum einen antiken Sagenstoff, der bis heute eine vergleichbare Faszination ausübt, wie die Geschichte vom Untergang Trojas. Die Episoden um den Raub der griechischen Königsgemahlin Helena durch ihren Liebhaber Paris, die dramatischen Kämpfe zwischen den Helden Hector und Achill und nicht zuletzt die Überlistung der Trojaner mit Hilfe des Trojanischen Pferdes sind Teil unseres kulturellen Bewusstseins. Einen besonderen Stellenwert besaß die Troja-Legende gleichwohl in der Adelswelt des Mittelalters, erdichteten sich doch zahlreiche Adelshäuser trojanische Ahnherren und führten ihre Geschlechter auf diverse trojanische Helden zurück.
Guidos Übersetzung des Troja-Romans: außerordentlich populär in Europa
So bildeten denn auch nicht Homers oder Vergils in der heidnischen Götterwelt verankerten Epen die Grundlage für die Verbreitung der Sage im Mittelalter, sondern vermeintliche Augenzeugenberichte, die vorgaben, detailliert die Ereignisse auf den Schlachtfeldern wiederzugeben. Aus diesen schöpfte auch der Sizilianer Guido de Columnis, dessen im 13. Jahrhundert verfasste Historia destructionis Troiae eine außerordentliche Popularität erreichte und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.
Der umfangreichste Troja-Zyklus in den deutschsprachigen Ländern
Mit der Faksimile-Ausgabe des Codex 2773 der Österreichischen Nationalbibliothek wird eine der ungewöhnlichsten Troja-Handschriften des späten Mittelalters vorgestellt: Obgleich der Codex eine wortgetreue Übersetzung des Troja-Romans Guidos enthält, will er doch in erster Linie ein Bilderbuch sein. Mit 334 Miniaturen auf 478 Seiten im Format 27,5 x 37 cm weist er den umfangreichsten Troja-Zyklus in den deutschsprachigen Ländern auf, der dem Benutzer ermöglicht, das Heldenepos von der Argonautensage bis zum tragischen Tod des Odysseus’ nachzuerleben. Es erscheint in einer weltweit limitierten Auflage von 998 Exemplaren.
Bemerkenswert ist der hohe Aufwand, mit der die Handschrift produziert wurde. Die Übersetzung wurde eigens für diesen Zweck angefertigt, der Text in der repräsentativen Buchschrift Textura niedergeschrieben. Nicht zuletzt sind es aber die bezaubernden Miniaturen, die den speziellen Reiz dieser Handschrift ausmachen.
Handbuch der höfischen Lebenswelt
Der Troja-Roman kann als Handbuch der höfischen Lebenswelt des Mittelalters gesehen werden. Neben den Kampfesszenen, die uns trotz ihrer unverblümten Drastik eher ein romantisch verklärtes Bild mittelalterlicher Schlachten vor Augen führen, ist es vor allem die Präsentation der höfischen Gesellschaft, ihrer Lebenswelt, der Bräuche und Rituale, die das Bild der Handschrift prägen und sie so zu einer herausragenden Quelle für das mittelalterliche höfische Zeremoniell hat werden lassen.
Eine Signatur in Goldlettern
Mit den Worten Martinus opifex (»Martin, Schöpfer dieses Werkes«) hat sich der Illuminator stolz in Goldlettern auf der ersten Seite verewigt – Vergleichbares wurde bisher in keiner anderen Handschrift gefunden! Glückliche Umstände erlauben es uns, diesen Namen mit dem in Regensburg von 1432 bis 1456 nachweisbaren Buchmaler Martin zu identifizieren.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass ausgerechnet in Regensburg sein Talent zur Entfaltung kam, zählte die alte Königspfalz im Mittelalter doch zu den bedeutendsten Zentren der Buchmalerei. In den Werkstätten entstanden Meisterwerke wie die monumentale Ottheinrich-Bibel.
Meister Martinus Opifex aus Regensburg
Sein eigenwilliger, prägnanter Stil ermöglicht es, ihm weitere Handschriften zuzuschreiben. Er war bei seinen Zeitgenossen hochgeschätzt – so nahm er in den 1440er Jahren am Wiener Hof eine führende Stellung ein und wirkte dort an der Ausmalung zweier Codices für den deutschen König und späteren Kaiser Friedrich III. mit.
Eine Bilderhandschrift für 15 Kilogramm Silber
Trotz ihres hohen Ausstattungs- und Anspruchsniveaus enthält die Handschrift keinerlei Hinweise auf ihren Adressaten. Das Buch verblieb zunächst im Besitz des Künstlers. Seine Witwe verkaufte es im Jahre 1456 an den Rat der Stadt Regensburg für den stattlichen Betrag von umgerechnet ca. 15 Kilogramm Silber. Erst als Geschenk an den kaiserlichen Kanzler gelangte der Codex nach Wien und so später in den Besitz der Habsburger, unter anderem gehörte er Kaiser Maximilian I.
Ab ca. 1574 wurde der Wiener Troja-Roman als Teil der Bibliothek Ferdinands II. auf Schloss Ambras in Tirol aufbewahrt, von wo er dann zusammen mit einem Großteil der Ambraser Sammlung wieder nach Wien transferiert wurde. Bis auf den Einband, der 1951 erneuert werden musste, hat sich der Codex vollständig und in einem vorzüglichen Zustand erhalten.
Der edle Ledereinband mit geprägten Rosetten in Echtgold
Als Vorlage für den Einband des Faksimiles wählte der Verlag einen Einband einer spätmittelalterlichen Kalenderhandschrift von 1481 aus dem Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek, den Codex 2683 aus der Werkstatt des Salzburger Buchkünstlers Ulrich Schreier.
Der Ledereinband mit vier Schließen wurde mit Blindprägungen durch Streicheisen und Einzelstempel sowie durch Kolorierung der Stempelmotive gestaltet. Die Rahmenecken und die Buchdeckelmitte sind jeweils mit einer Wirbelrosette in Echtgold besetzt. Der Buchrücken enthält fünf erhabene Bünde.
Die Präsentationskassette
Das Faksimile und der Kommentarband befinden sich gemeinsam in einer Kassette mit Acryldeckel. Dieser ermöglicht es, dass der Einband in der Kassette angemessen präsentiert wird.
Der wissenschaftliche Kommentarband: Ihr Schlüssel zur Handschrift
Der wissenschaftliche Kommentarband ist unter Beteiligung namhafter Handschriften-Experten entstanden: Karin Schneider und Norbert H. Ott (München), Katharina Hranitzky (Wien) sowie Gude Suckale-Redlefsen und Robert Suckale (Berlin). Erstmals überhaupt erfolgt dabei eine eingehendere wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Handschrift.