Auf der Reichenau im 10. Jahrhundert im Auftrag des Erzbischofs Egbert von Trier entstanden, ist das Evangelistar der älteste Bilderzyklus zum Leben Jesu in der Geschichte der Buchmalerei. Die große erzählerische Kraft der Bilder zieht auch heute noch den Betrachter in ihren Bann.
Höhepunkt Ottonischer Buchmalerei
Ältester Bilderzyklus zum Leben Jesu
Der Egbert-Codex ragt unter den reich illuminierten Handschriften der künstlerisch so produktiven Zeit der Ottonen heraus. Schon die ersten Blätter des kostbaren Codex zeugen von der Bücherliebe des Auftraggebers, Erzbischof Egberts von Trier: Eine Doppelseite in Gold und Purpur mit einer Widmung und dem Porträt des Bischofs eröffnen das Werk. Zwei Mönche zu Füßen Egberts, Kerald und Heribert von der Reichenau, überbringen ihm das Werk. Vier eindringliche ganzseitige Darstellungen der Evangelisten schließen sich an.
Weitere 51 erzählende Bilder zum Leben Jesu bestechen im Anschluss daran durch einen zart schimmernden Grund und sorgfältig komponierte Figurengruppen in jeder Miniatur. Dieser Bilderzyklus zum Leben Jesu ist der älteste in der Geschichte der Buchmalerei.
Der Glanz von Silber und Gold: 60 Schmuckseiten und über 240 Initialen
Der Egbert-Codex stellt als Perikopenbuch bzw. Evangelistar auf 165 Blättern die Lesungen aus den vier Evangelien im Ablauf des Kirchenjahrs dar. Jede Perikope beginnt mit einer großen I-Initiale, die mit einem Flechtband aus Gold und Silber gefüllt ist. Kostbares Gold verwendeten die Künstler auch für feine Details in den zahlreichen Miniaturen wie zur Verstärkung der plastischen Wirkung im Faltenwurf.
Der Egbert-Codex – Synthese unterschiedlicher Kunstformen
Bischof Egbert wirkte in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts – einer Zeit, die als eine der fruchtbarsten in der Geschichte der Kunst gilt. Herausragende Zentren künstlerischer Kreativität entstanden damals in den Skriptorien der Klöster. Das berühmteste unter ihnen war die Benediktinerabtei auf der Reichenau.
Die Künstlermönche vom Bodensee entwickelten einen Stil, der die ottonische Buchmalerei prägte. Den Mönchen gelang eine atemberaubende Synthese zwischen nördlichen und südlichen Kunstformen. Das kostbare Erbe karolingischer Traditionen gehörte ebenso zu ihrem Bilderschatz wie Spuren insularer Malerei oder byzantinische Einflüsse. Früher Höhepunkt dieser neuen Form ist der Egbert-Codex, in dem in besonderer Weise der Geist der Antike dem Neuen begegnet.
Bilder von großer erzählerischer Kraft
Der reiche Bilderzyklus mit Miniaturen zum Leben und wundersamen Wirken Jesu sowie die Porträts der Evangelisten und Bischof Egberts ziehen den Betrachter noch heute durch ihre Ruhe und Erhabenheit in den Bann. Jede Miniatur, von der Geburt Jesu bis zur Himmelfahrt und zum Pfingstfest, ist von großer spiritueller Kraft erfüllt. Ungewöhnlich ist die Auswahl der Bilder: Der Egbert-Codex präsentiert einige Wunder Jesu, die sonst in Handschriften nur selten gezeigt werden.
Die Geschlossenheit der Bilderreihe belegt eindeutig, dass es einen Meister gegeben hat, der für die künstlerische Konzeption des Buches verantwortlich war. Die Kunstgeschichte hat ihn als den Gregor-Meister identifiziert, einen Mönch, der für Egbert auch eine Briefsammlung Papst Gregors des Großen ausgemalt hat.
Der Gregor-Meister: prägend für die ottonische Buchkunst
Auffälliges Kennzeichen für die Malkunst des Gregor-Meisters, dessen Hand sicher sieben Miniaturen schuf, ist die Anlehnung an spätantike, byzantinisch beeinflusste Vorbilder. Die Bibliotheken in Trier und auf der Reichenau verwahrten alte Codices, die der Gregor-Meister als Quelle seiner Arbeit verwenden konnte. Seinen künstlerischen Ausdruck schulte der Meister sicherlich an den spätrömischen Mosaiken in Trier oder vielleicht auch auf einer Reise nach Italien.
So empfänglich der Gregor-Meister für die Werte des Alten war, zeugt manche Miniatur von seiner Suche nach neuen ikonographischen Ideen. Seine Kunst lebt gleichermaßen von der Wertschätzung des Alten wie von der Offenheit für die Kraft des Neuen. Das antike Maß diente ihm als Gerüst einer Malerei, die gleichzeitig auch gänzlich neue Lösungen für Probleme des Raumes und der Plastizität bereit hielt.
Die geheimnisvolle Wirkung funkelnden Goldes
Die eigentümliche Wirkung, die von den geheimnisvoll changierenden Hintergründen im Egbert-Codexausgeht, liegt nicht nur an den meisterhaften Farbzusammenstellungen. In jeder Miniatur sorgt zusätzlich der Gebrauch fein aufgetragenen Goldes für reizvolle Akzente auf dem in zarten Pastellfarben schimmernden Hintergrund. Eine ganz eigene Anziehungskraft besitzen auch die zahlreichen I-Initialen durch die Kombination von Gold, Silber und Mennige.
Nach mehr als 1000 Jahren ist das aufgetragene Gold und zumeist auch das Silber in hervorragendem Zustand und verbreitet noch heute dieselbe Pracht wie zu Zeiten Bischof Egberts von Trier.
Die Faksimile-Edition
Der Egbert-Codex erscheint in einer weltweit limitierten Auflage von nur 980 handnumerierten Exemplaren als originalgetreue Faksimile-Edition. Alle 330 Seiten werden getreu dem Original randbeschnitten und im Format von 27,0 x 21,0 cm wiedergegeben. Das von den Künstlermönchen angewandte glänzende Gold und das Silber auf den 60 illuminierten Seiten und in den über 240 Initialen wird in allen Feinheiten im Faksimileband differenziert wiedergegeben.
Der Einband aus grüner Seide ist einem typischen Bucheinband aus ottonischer Zeit nachempfunden. Den Vorderdeckel ziert eine fein gearbeitete, versilberte und patinierte Metallplatte, dessen Vorbild eine Darstellung Egberts auf dem Mettlacher Kreuzreliquiar liefert, sein einzig erhaltenes Porträt auf einer Metallplatte.
Der wissenschaftliche Kommentarband
Der Kommentar präsentiert die neuesten Ergebnisse der Forschung zur ottonischen Kunstepoche und zum Egbert-Codex. Mit Gunther Franz, Trier, Franz J. Ronig, Trier, Robert Fuchs, Köln, Doris Oltrogge, Köln, und Sif Dagmar Dornheim, Freiburg i. Br., wurde ein Autorenkollektiv gewonnen, das gleichermaßen fundiert wie anschaulich in die Geheimnisse dieses Meisterwerks der Buchmalerei einführt.
Die Faksimile-Edition wird zum Schutz in einem Schuber aus Acrylglas geliefert.