Ein Dokument des Umbruchs: Die Konzentration auf die Davidsgeschichte beschwört die Bußfrömmigkeit des Mittelalters, während die Sinnenfreude der Renaissance in fulminant bunten Modeabbildungen vorgeführt wird.
Ein Kleinod Zwischen Bussfrömmigkeit Und Sinnenfreude
Die späte Blüte einer großen Kunstgattung
Eines der schönsten Kleinodien der Buchmalerei, das Bußgebetbuch von Albrecht Glockendon für Johann II. von Pfalz–Simmern, entstand in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit, als die Buchmalerei noch einmal triumphierte, bevor der Buchdruck endgültig seinen Siegeszug begann. Auf einzigartige Weise manifestiert sich diese spannende Phase im Werk selbst, aber auch in den Lebensläufen seiner »Urheber«: Die Handschrift wurde 1532/1533 von Albrecht Glockendon illuminiert, Auftraggeber war Pfalzgraf Johann II., vorgesehen war sie jedoch wohl eher als Geschenk für dessen jüngsten Sohn Reichard, der für die geistliche Laufbahn bestimmt war.
Zwischen Mittelalter und Neuzeit
Deutschland in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts: Das Land ist zersplittert in Hunderte von Herrschaften; die Reformation erschüttert die alten Mächte und relativiert jahrhundertealte Sicherheiten; Nachrichten von fremden Ländern und Völkern regen die Fantasie an, der Buchdruck sorgt für die Verbreitung von Wissen und neuen Gedanken; erste Religionskriege, soziale Aufstände und die beginnende Inquisition erschüttern das Land. Es ist der Beginn der Neuzeit, eines fundamentalen Umbruchs in vielfacher Hinsicht. Manche ergreifen beherzt das Neue – den neuen Glauben, das neue Wissen –, andere versuchen, das »gute Alte« zu bewahren, denn es steht in ihren Augen für die ewigen Werte und Wahrheiten.
Das Bußgebetbuch für Johann II. von Pfalz-Simmern ist ein Dokument dieses Umbruchs: Geschrieben und gemalt in einer Zeit, als der Buchdruck schon verbreitet war, beschwört es mit seiner Betonung des Büßertums und seiner Absage an den damaligen flämischen Stil noch einmal eindrucksvoll den Geist des Mittelalters. Andererseits ist es eine fulminante »Modenschau«, bei der die bunte Kleidung der Renaissance mit viel Liebe zum Detail inszeniert wird.
Der Auftraggeber: Johann II. von Pfalz-Simmern (1492-1557)
Johann II. von Simmern (*1492, †1557), Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Bayern, Graf zu Sponheim, war das Idealbild eines Herrschers: gebildet, kunstliebend, tolerant, politisch engagiert, im ganzen Reich angesehen und bekannt. Er genoss großes Vertrauen in der Ritterschaft, bekleidete höchste Ämter, hatte ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Kaiser Karl V., war auf allen wichtigen Reichstagen vertreten. 1523 wurde er kaiserlicher Statthalter im Reichsregiment, 1536-1539 war er Präsident des Reichskammergerichts in Speyer. Als Herrscher, Politiker und Jurist war Johann II. im ganzen Reich so populär, dass er meist einfach nur »Herzog Hans« genannt wurde.
Doch nicht nur in der großen Reichspolitik, sondern auch vor Ort in seinem eigenen Kleinstaat wirkte Johann II. segensreich, engagierte sich nach Kräften für die Belange seiner Untertanen, sorgte für Rechtssicherheit, Bildung und öffentliche Ordnung. Schon die Zeitgenossen feierten ihn als »illustris et generosus princeps«, als Dichter und Gelehrten auf dem Fürstenthron, rühmten seine Aufgeschlossenheit für Kunst und Wissenschaft. In der Tat stand Johann II. in Verbindung mit Künstlern und Wissenschaftlern, gab viele wichtige Kunstwerke in Auftrag und betätigte sich sogar selbst als Schriftsteller, Verleger, Übersetzer und Zeichner. Bemerkenswert ist, dass Johann 1527 in Simmern eine Druckerei einrichtete und damit zu den ersten Fürsten Westdeutschlands gehörte, die diese noch recht neue Technik förderten.
Der Buchmaler: Albrecht Glockendon (um 1495-1545)
Die Buchmalerei, die im Mittelalter eine beispiellose Blütezeit erlebt hatte, begann mit dem Ende der Spätgotik aus der Kunstlandschaft zu verschwinden, um bis 1540/50 weitgehend auszusterben. Wichtigstes Buchmalerei-Zentrum der Dürerzeit in Deutschland war neben Augsburg die freie Reichsstadt Nürnberg. Die Nürnberger Buchmalerei war mehr oder weniger ein Monopol verschiedener Mitglieder der Familie Glockendon. Albrecht Glockendon war der Jüngere von zwei berühmten Söhnen des Stammvaters dieser Künstler-Dynastie, Georg Glockendon d.Ä., der sich im Jahr 1484 in der aufblühenden Kunstmetropole Nürnberg niederließ. Beide Söhne gaben wiederum Talent und Familientradition weiter an die Generation der Enkel. Albrecht Glockendon war aber mitnichten nur als Buchmaler tätig, sondern auch als Verleger von Holzschnitten. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung der Zeitgenossen war Albrecht Glockendon kein Illuminist (Buchmaler). Das geht z.B. daraus hervor, dass er von den Nürnberger Behörden nie als Maler, sondern immer nur unter den Buchdruckern geführt wurde. Auch der Maler des Bußgebetbuches war also teilweise ein Vertreter der »neuen Zeit« – wie sein Auftraggeber im Hunsrück.
Die Handschrift – ein »Gigant« an Originalität
Das Bußgebetbuch des Albrecht Glockendon für Johann II. von Pfalz-Simmern ist ein ganz außerordentliches Werk. Der Autor des Kommentarbandes, Dr. Ulrich Merkl, spricht zu Recht von einem »Buchzwerg«, der eigentlich »ein Gigant an Originalität und Qualität [ist], mit dem es selbst seine spektakulärsten Vettern, die 30 kg schweren und tischplattengroßen Chorbücher, nicht aufnehmen können.« Sieben der neun ganzseitigen Miniaturen erzählen die alttestamentarische Geschichte von David und Bathseba. Dass die Bußpsalmen gerade mit David-Szenen illustriert werden, hat zwei Gründe: zum einen gilt David als Autor der Psalmen, zum anderen ist er der exemplarische Sünder und Büßer – seine Geschichte schildert den tiefen Fall eines Menschen, der wieder Vergebung erlangt. Albrecht Glockendon nutzte die Davidsgeschichte zu einer eindrucksvollen Demonstration seiner Kunstfertigkeit. Der Künstler schwelgt geradezu in einer ausführlichen und detailverliebten Schilderung der Sachwelt, zelebriert kunstvolle Architekturgebilde mit Säulen, Giebeln, Balkonen, füllt Innenräume mit Möbelstücken, Trinkgefäßen und Büchern, gewährt uns einen Blick auf die Muster der Fliesenböden, die kostbaren Stoffe der Bettdecken, Tischdecken und Vorhänge, führt die prächtigen Renaissancegewänder wie in einer Modenschau vor, breitet vor unseren Augen den ganzen verschwenderischen Reichtum des höfischen Ambientes aus.
Die Faksimile-Edition
Die Faksimile-Edition des Bußgebetbuches von Albrecht Glockendon für Johann II. von Pfalz-Simmern erscheint in einer weltweit limitierten Auflage von 980 Exemplaren. Mit neuester Technik und großem Aufwand wurden alle Seiten fotografiert, lithografiert, gedruckt und durch Vergoldung und Patinierung veredelt. Die insgesamt 26 Blätter im Format 13,8 x 9,9 cm sind mit neun großen Miniaturen und 19 Initialen versehen, wovon eine historisiert ist. Der erste Vers der Bußpsalmen ist jeweils in Goldschrift gehalten. Diese Passagen sind in unserer Faksimile-Ausgabe in 23karätigem Echtgold wiedergegeben. Dank des klaren Schriftbildes sind die Texte gut lesbar.
Wie bei vielen mittelalterlichen Handschriften ist der Originaleinband nicht erhalten. Wohl im 18. Jahrhundert wurde das Werk in dunkelbraunes Leder im Format 14,5 x 10,6 cm gebunden, der für die Faksimile-Edition nachgeahmt wurde. Auf Vorder- und Rückseite wurden Goldprägungen angebracht. Der Buchblock ist mit einem dreiseitigen Goldschnitt versehen. Ein handumstochenes Kapitalband schmückt das Buch an Kopf- und Fußschnitt.
Der Kommentarband
Zur Faksimileausgabe schrieb Dr. Ulrich Merkl, einer der besten Kenner der spätmittelalterlichen Buchmalerei, einen ausführlichen Kommentar, der auch die gesamten Texte transkribiert und übersetzt. Mit dem Kommentarband erhält der Leser einen wunderbaren Schlüssel zu dieser kostbaren Handschrift und bekommt einen Einblick in die geistige und künstlerische Welt an der Wende zur Neuzeit.
Faksimile und Kommentarband werden zusammen in einer feinen Lederkassette verwahrt, ein Sichtfenster erlaubt auch im geschlossenen Zustand den Blick auf Einband und Goldprägung.