Gestalter und Auftraggeber der Handschrift sind ungewiss, vieles deutet auf den Herzog von Berry hin. Unbestreitbar ist ihre Schlüsselstellung in der französischen Buchmalerei durch die verwendete Grisaille-Technik und die moderne Art der Illumination, die die Miniaturen in ganzseitige, autonome Bilder umwandelt.
Geheimnisvolles Juwel Des Herzogs
Eine Handschrift voller Hinweise auf den Herzog von Berry
uch wenn so manches Geheimnis um die Entstehung des Brüsseler Stundenbuches bestehen bleibt, so gibt es doch deutliche Indizien dafür, dass es sich dabei um eine Auftragsarbeit des Herzogs von Berry gehandelt haben muss. Denn überall in den Bordüren dieser Bilderhandschrift finden wir die herzoglichen Wappen, seine Embleme wie etwa den Bären sowie das Monogramm VE aus seiner Devise.
Darüber hinaus enthält die Litanei, also jener Teil mit den Fürbittgebeten, viele Heilige, die in Poitou und Berry verehrt wurden. Neben der Litanei enthält das Brüsseler Stundenbuch ein Marienoffizium, die Bußpsalmen, die Stunden des heiligen Kreuzes und das Totenoffizium.
Besonders interessant sind die Anhaltspunkte, die mögliche Erinnerungen an eine große Liebe darstellen könnten. Eine englische Dame muss es wohl gewesen sein, die das Herz des Herzogs entflammt hatte. Denn in allen Werken, die nach dem Brüsseler Stundenbuch von ihm in Auftrag gegeben wurden, findet sich der verwundete Schwan, der schon von seinem Großneffen René von Anjou als Zeichen schmerzvoller Liebeserinnerungen interpretiert wurde.
Geheimnisvolles Dunkel um die Entstehung
Einer der Höhepunkte im Brüsseler Stundenbuch ist zweifellos die Demi-Grisaille-Doppelseite. Die Anfänge der Grisaille-Technik in der Buchmalerei sind um das 14. Jahrhundert in Frankreich anzusetzen. In den Pariser Prachthandschriften des 14. Jahrhunderts wurde sie zur Mode, wobei die Maler mit den Nuancen der Farbe Grau modellierten. Das monochrome Grau sollte an den Stein einer Statue erinnern und ein kunstvolles Spiel mit Volumen und Licht erlauben.
Während die Grisaille in der Tafelmalerei dem raffinierten Spiel mit Licht und Volumen diente, war sie in der Buchmalerei einfach ein originelles, künstlerisches Mittel zu einer neuen Ästhetik und Sensibilität, ebenso wie die mit kräftigen Farbtupfern ausgestattete Demi-Grisaille-Technik, die im Brüsseler Stundenbuch Anwendung fand.
Die Frage nach den Meistern des Brüsseler Stundenbuchs hat stets Anlass zu angeregten Diskussionen gegeben. Mehrfach wurden in der wissenschaftlichen Diskussion vor dem Erscheinen unseres Kommentarbandes verschiedene Namen genannt.
Einer davon ist André Beauneveu, Bildhauer und Maler aus dem Hennegau. Sein großer Ruf gründete sich hauptsächlich auf Arbeiten für den französischen Hof. Im Auftrag von König Karl V. bewies Beauneveu sein Können an einer ganzen Reihe imposanter Grabstatuen für die Abtei von St. Denis. Beauneveu war es aber auch, der für die Eingangsminiaturen des berühmten Psalters des Herzogs von Berry verantwortlich war. Noch heute ist fraglich, ob dieser oder ein noch unbekannter Maler diese Grisaille-Bilder, die noch vor der Handschrift entstanden sein müssen, geschaffen hat.
Ein Schlüsselwerk in der Entwicklung französischer Buchmalerei
Mit dem Brüsseler Stundenbuch vollzieht sich in der Geschichte der Buchgattung ein neuer Schritt. Was bislang noch in den »Petites Heures« als Inbegriff der Ästhetik gegolten hatte, wird nun mit demBrüsseler Stundenbuch ganz neu definiert.
Der Codex sprengt die Grenzen der französischen Buchmalerei, indem er sich von den bisher gegangenen Wegen entfernt. Damit wird das Brüsseler Stundenbuch ein Werk, das man als Inbegriff des gotisch gestalteten Buches anerkennen muss. Erstmals zeigt sich hier eine ganz moderne Art der Illumination: eine große Miniatur im einfachen Rechteck, ohne jedes Maßwerk und ohne rechte Anpassung an das Buch. Fast scheint es, als wolle der Maler ein Fenster in das Pergament schneiden und den Blick nach außen öffnen.
Die Malerei lässt die Funktion der Ausschmückung hinter sich. Entscheidend dafür verantwortlich ist die Ausführung des Brüsseler Stundenbuchs. Man nimmt an, dass die Konzeption und die Vorzeichnungen auf den Miniaturisten Jacquemart zurückgehen, der vermutlich aus dem nordfranzösischen Städtchen Hesdin kam.
Auch über ihm schwebt der Schleier des Geheimnisvollen; erst wenige Werke konnten ihm mit Gewissheit zugewiesen werden, darunter eine Abbildung von Jesus, der das Kreuz trägt, die aus den Grandes Heures entfernt wurde und sich heute im Louvre befindet. Paradoxerweise vermittelt gerade er als Maler aus dem Norden die neuen italienischen Auffassungen.
Seit 1384 stand er im Dienste des Herzogs und war unter anderem schon an den »Petites Heures« des Herzogs von Berry beteiligt. Jacquemart steht für einen Wendepunkt in der Malerei Nordeuropas. Denn er wandelte die Miniatur in ein ganzseitiges, autonomes Bild um, ganz nach italienischem Vorbild.
Die Faksimile-Edition eine Kostbarkeit, nicht nur für Freunde des Herzogs von Berry
Die Bilderhandschriften des Herzogs von Berry zählen mit zum Schönsten, was die europäische Kunst des Mittelalters hervorgebracht hat.
Bis ins kleinste Detail und vollkommen originalgetreu werden im Faksimile-Band alle 276 Seiten im Format von 27,5 x 18,5 cm des Originals mit 20 ganzseitigen Miniaturen und 17 wunderschönen Initialseiten mit Teilbordüren wiedergegeben. Jedes Blatt wurde originalgetreu randbeschnitten und von Hand geheftet. Alle drei Seiten des Buchblocks sind mit edlem Goldschnitt versehen.
Der rote Einband aus Ziegenleder ist mit Gold- und Blindprägung aufwendig geschmückt. Mit modernster technischer Perfektion und hochqualifizierter kunstvoller Handarbeit entsteht eine einmalige, limitierte Auflage von weltweit nur 980 Exemplaren.
Der Kommentarband
Der Kommentarband mit 293 Seiten ist Ihr ständiger Begleiter bei der Entdeckungsreise durch die Brüsseler Bilderhandschrift. Die Forschungen zu den Beiträgen führten zu neuen, sensationellen Erkenntnissen.
Die Experten: Dr. Pierre Cockshaw, Direktor und Chefkonservator der königlichen Bibliothek Albert Ier, Brüssel; Dr. Bernard Bousmanne, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Brüsseler Handschriftenabteilung, und Prof. Dr. Gerhard Schmidt, Universität Wien.
Faksimile- und Kommentarband wurden zusammen in einer schützenden Acrylglas-Kassette geliefert. Die Edition ist vergriffen.